Lernen wird mit zunehmendem Alter immer schwieriger – diese Meinung wird oft vertreten. Aber stimmt diese Aussage überhaupt?
Der Begriff „Lernen“
Hören wir das Wort „lernen“, verbinden wir es in erster Linie mit Bildung. Wir lernen Dinge wie Mathematik, Biologie und Sprachen in der Schule. Später lernen wir an Universitäten, in einer Ausbildung oder im Beruf. Lernen ist aber viel mehr als Bildung. Der Mensch ist vom ersten Atemzug – vielleicht schon vom Mutterleib an – bis zum Ende seines Lebens ein lernendes Wesen. Er ist in der Lage, sich Umweltbedingungen und neuen Situationen anzupassen. Sogar Kinder können lernen in der Wüste oder in einer Schneelandschaft zu überleben.
Ältere Menschen lernen anders
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ – dieses Sprichwort ist im deutschen Sprachraum vielen geläufig. In der Wissenschaft ist es allerdings schon lange widerlegt. So zeigt eine Studie, dass Alter die Lernfähigkeit nicht zwangsweise beeinflusst. (1) 1.206 Testpersonen zwischen 6 und 89 Jahren wurden aufgefordert jonglieren zu lernen. Am besten schnitten die 15 bis 29-jährigen ab. Jedoch waren die Unterschiede zwischen den 30 bis 75-jährigen Teilnehmern sehr gering. Nur bei den über 80 Jahre alten Probanden gab es wirkliche Schwierigkeiten. Die Studie zeigt also, dass Erwachsene neue Bewegungen zwar etwas langsamer lernen als Jugendliche, aber auch, dass es erst im hohen Alter tatsächliche Einschränkungen gibt.
Eine Studie stellte fest, dass ältere Menschen Informationen langsamer verarbeiten. (2) Wer jetzt daraus schlussfolgert, dass ältere Menschen dadurch beim Lernen im Nachteil sind, der liegt falsch. Wer ein gutes Gedächtnis hat, der konnte sich die in der Studie dargebotenen Lerninhalte besonders gut merken und war den Jüngeren überlegen. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit hat kaum einen Einfluss auf das Lernen. Stell dir das Gehirn wie einen Muskel vor. Je besser du einen Muskel trainierst, desto effektiver wird er sein. Je besser du dein Gehirn trainierst, desto besser wird es funktionieren. Jüngere Menschen können neue Lerninhalte schneller verarbeiten. Das liegt auch daran, dass ältere Menschen die neuen Lerninhalte mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen und dadurch länger bei der Verarbeitung brauchen. Bei der Erinnerung an das Gelernte können Ältere wiederum durchaus einen Vorteil gegenüber Jüngeren haben.
Beim Lernen verändern sich die Aktivitätsmuster im Gehirn. Wiederholt man einen Vorgang immer wieder – wie beispielsweise das Spielen von einer Saite zur anderen auf der Geige – festigen sich die Verbindungen im Gehirn. Je jünger der Mensch, desto weniger bereits gelernte Muster gibt es. Vorhandene Muster können den Lernprozess erschweren, aber auch erleichtern. So ist es einfacher, eine neue Sprache zu lernen, wenn man bereits andere Sprachen beherrscht. Ein 45-Jähriger, der bereits fließend Deutsch, Englisch und Französisch spricht, wird wahrscheinlich schneller Portugiesisch lernen als ein 20-Jähriger, der bisher nur Deutsch gelernt hat. Erwachsene lernen also nicht unbedingt schlechter als junge Menschen – aber eben anders. (3)
Benachteiligung Älterer aufgrund ihrer vermeintlichen Lernschwierigkeiten
Mehr als eine Fünftel der deutschen Bevölkerung ist über 60 Jahre alt. 17,7 % sind sogar älter als 65 Jahre. (4) Der Anteil älterer Menschen wird in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen – vor allem jener der über 75-jährigen. Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung, Bewältigung von Veränderungen, Erhaltung der Eigenständigkeit und Weiterentwicklung der Persönlichkeit sowie die Bildungsaktivität sind gerade im höheren Alter für die Realisierung von Lebensqualität von fortwährender Bedeutung. Wenn die 70 Jahre alte Großmutter ihrer Familie erzählt, dass sie im neuen Jahr ein Russisch Studium beginnen möchte, stößt sie wahrscheinlich auf ungläubige Gesichter. Aber wieso sollte eine fitte Rentnerin nicht noch ein Studium beginnen können? Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft aufhört das Alter als Schwäche zu betrachten und endlich zur Kenntnis nimmt, dass niemand zum Lernen zu alt ist.
Quellen:
(1) Claudia Voelcker-Rehage (2008): Motor-skill learning in older adults – a review of studies on age-related differences. European Review of Aging and Physical Activity. Volume 5, pages 5-16.
(2) Bernhard Schmidt-Hertha (2014): Kompetenzerwerb und Lernen im Alter. wbv Media Verlag. Auflage 1. S. 35 ff.
(3) Eva Maria Schnurr (2010): Unser neues Körpergefühl. Zeit Wissen. Online verfügbar unter https://www.zeit.de/zeit-wissen/2011/01/Forschung-Lernen/komplettansicht
(4) Statista. Das Statistik Portal (2017): Bevölkerung – Zahl der Einwohner in Deutschland nach Altersgruppen. Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/